Fünf Jahre nach seinem Weltbestseller «Zwei an einem Tag» hat der Brite David Nicholls mit «Drei auf Reisen» einen weiteren Beziehungsroman geschrieben. Ein Gespräch über sanfte Trennungen und wütende Teenager. [Neue Zürcher Zeitung vom 24. Oktober 2014, Link]
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«Da ist viel Frust, aber auch Melancholie»
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«Grundsätzliches ist schnell geklärt»
Zwei Singles finden sich interessant, verabreden sich. Und nun? Die Psychologin Jana Nikitin, die über soziale Annäherungsprozesse forscht, über die Tücken der ersten Begegnung. [Neue Zürcher Zeitung vom 07. April 2014, Link]
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«Ich bereue ‹Wir Kinder vom Bahnhof Zoo›»
Als «Christiane F.» war Christiane Felscherinow in den 1980er Jahren Deutschlands bekanntester Junkie, der Bestseller «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» machte sie berühmt. Nun hat sie ihre Autobiografie geschrieben. [Neue Zürcher Zeitung vom 29. November 2013, Link]
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«1863 war die Schweiz sehr arm»
Mit „Swiss Watching“ wurde Diccon Bewes bekannt. Für sein neues Buch reiste der Brite drei Wochen durch die Schweiz. Entstanden ist ein Portrait des Landes im 19. Jahrhundert. [Neue Zürcher Zeitung vom 24. Oktober 2013, Link]
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«Viele empfinden das traditionelle Gottesbild als Last»
In einer Radiosendung hat die Pfarrerin von Muri-Gümligen, Ella de Groot, für Aufsehen gesorgt. An den traditionellen Gott glaube sie nicht, hatte sie da gesagt. Nun erklärt sie, warum. [Neue Zürcher Zeitung vom 26. Juli 2013, Link]
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„Viele haben verlernt, auf ihre innere Stimme zu hören“
Was soll ich im Restaurant essen, welchen Bewerber soll ich einstellen, muss ich Angst vor der Vogelgrippe haben? Das heutige Leben ist voller Gefahren und Herausforderungen. Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, erklärt, wie man sich richtig entscheidet. Ein Gespräch über Gefahren im Krankenhaus, unterschätzte Risiken im Alltag und wie man die Liebe fürs Leben findet. [© evangelisch.de vom 05. April 2013, Link]
Herr Gigerenzer, angenommen, ich habe ein interessantes Job-Angebot in einer fremden Stadt. In meinem jetzigen Beruf dagegen läuft es mäßig, aber ich fühle mich wohl. Was soll ich tun?
Gerd Gigerenzer: Nach der klassischen Entscheidungstheorie sammeln Sie zuerst viele Informationen und listen alle Argumente für beide Orte auf. Dann gewichten Sie jeden Aspekt mit einer Zahl: Ist Ihnen eine hohe Lebensqualität wichtig, bekommt sie eine fünf. Ist Ihnen Geld ziemlich egal, bekommt es eine eins. Dann schätzen Sie, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, mit der jeder Aspekt eintrifft. Im nächsten Schritt multiplizieren Sie die Wahrscheinlichkeiten mit den Gewichten und addieren alles. Schließlich entscheiden Sie sich für den Ort mit dem größten erwarteten Nutzen.
Hört sich kompliziert an.
Gigerenzer: So handeln tatsächlich auch nur wenige Menschen. Letztlich gibt oft ein einziger Grund den Ausschlag: der Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung, zum Beispiel, oder Neugierde auf eine neue Herausforderung.
In Ihrem Buch schreiben Sie, wir lebten in einer „risikoinkompetenten Gesellschaft“. Was meinen Sie damit?
Gigerenzer: Seit den letzten 50 Jahren sind wir in Deutschland so sicher wie nie zuvor. Wir leben länger, sind gesünder. Trotzdem haben wir viele große Ängste: vor Vogelgrippe, Schweinegrippe, BSE, Terrorismus. Zwar sind an der Schweinegrippe Menschen gestorben, aber wenige im Vergleich zu den Todesfällen durch die normale Grippe. Die wirklichen Gefahren gehen völlig unter.Welche sind das?
Gigerenzer: Zum Beispiel Rauchen, Motorrad fahren, aber auch Auto fahren. An den Folgen des Rauchens sterben in Deutschland jedes Jahr etwa hunderttausend Menschen. Jeder dritte Krebs entsteht durch Zigaretten. Hier hat man also das Leben wirklich selbst in der Hand. Das betrifft auch andere Risikofaktoren wie Übergewicht, zuckerhaltige Softdrinks, Bewegungsmangel und Alkoholmissbrauch. Der Ertrag durch Krebs-Früherkennung und der Krebsmedikamente ist dagegen gering, mit wenigen Ausnahmen wie dem Hodenkrebs.
Wie kann man lernen, Risiken realistisch einzuschätzen?
Gigerenzer: Das muss schon in der Schule anfangen. Kinder und Jugendliche sollten mehr Statistik und Psychologie lernen. Schließlich geht es auch darum, sich selbst besser zu verstehen: Warum habe ich Angst? Warum möchte ich so aussehen wie alle anderen? Noch immer finden es manche Jugendliche cool, zu rauchen oder betrunken zu sein. Deshalb sollten schon Kinder spielerisch lernen, wie Werbung verführt. Wir müssen sie stark machen gegen äußere Einflüsse. Diese Wertevermittlung kann auch eine Aufgabe der Kirche sein.Oft sagen Menschen ja, sie hätten sich aus dem Bauch heraus für etwas entschieden. Können Gefühle ein gutes Leitsystem sein?
Gigerenzer: Unbedingt. Was Sie beschreiben, ist Intuition, eine Form unbewusster Intelligenz, die auf Erfahrung beruht. Ein Fußball-Spieler kann auch nicht erklären, wie er ein Tor geschossen hat. Er macht es einfach. Intuition ist Wissen, das nicht in Sprache ausgedrückt werden kann. Oft fallen intuitive Entscheidungen schnell. Das Problem ist, dass viele verlernt haben, auf ihre innere Stimme zu hören.Wie kommt das?
Gigerenzer: Intuition wird oft verwechselt mit Willkür oder göttlicher Eingebung. Deshalb wird sie in bestimmten Bereichen unserer Gesellschaft tabuisiert, vor allem unter Top-Managern, die sich vor ihren Vorgesetzten und Shareholdern verantworten müssen. Manager treffen zwar viele Entscheidungen intuitiv, suchen aber oft später Gründe, damit sie scheinbar rational wirken.Wie kann ich üben, wieder mehr auf meine innere Stimme zu hören?
Gigerenzer: Vor Ihrer Entscheidung über Ihren künftigen Job könnten Sie eine Münze werfen. Während sie sich in der Luft dreht, spüren Sie vielleicht schon, welche Seite nicht oben liegen soll. Dann brauchen Sie gar nicht mehr auf das Ergebnis zu schauen.Geht es nicht zuerst ein bisschen einfacher, bitte?
Gigerenzer: Na gut, nehmen wir ein Restaurant. Manche Menschen versuchen auch dort, ihr Ergebnis zu maximieren, sie wollen das Beste. Also lesen sie die gesamte Speisekarte, wägen alles ab. Ich habe dagegen eine einfache Regel, mit der ich bisher immer zufrieden war. Ich frage den Ober, was er essen würde, und nehme das. Schließlich ist er derjenige, der weiß, was in der Küche los ist. Ich frage ihn nicht, was er empfiehlt, sonst fängt er an nachzudenken.Ich soll also meine Entscheidung einem Fremden überlassen?
Gigerenzer: Tatsächlich fällt es vielen Menschen schwer, die Speisekarte nicht zu lesen, denn dann müssten sie vertrauen. Das ist aber die Mutter aller Faustregeln. Man muss nur wissen, wem man vertrauen kann.Woher weiß ich das?
Gigerenzer: Man muss verstehen, in welcher Situation der andere ist. Viele Deutsche haben immer geglaubt, dass ihr Bankberater nur das Beste für sie will. Dabei weisen ihm seine Vorgesetzten an, welche Versicherungen und andere Produkte er verkaufen soll. Viele Bankberater wollen also das Beste für die Bank, nicht notwendigerweise für Sie – sonst wären sie nicht lange Bankberater.Aber auf Ärzte kann ich mich doch verlassen?
Gigerenzer: Auch Ärzte haben oft Interessenkonflikte. Sie verdienen etwa an sogenannten IGeL-Leistungen, von denen man nicht unbedingt weiß, ob sie nützen oder sogar schaden. Viele Ärzte haben auch nicht gelernt, wissenschaftliche Forschung zu verstehen. Konzerne können daher leicht eine Statistik so darstellen, dass ein Arzt eine Behandlung empfiehlt – oder eben nicht. Wenn es um Gesundheit oder Geld geht, sollte man selbst mitdenken.Kann die Religion ein guter Ratgeber sein?
Gigerenzer: In solchen Konflikten kann der Glaube tatsächlich ein Korrektiv sein. Ein religiös motivierter Arzt orientiert sich stärker am Wohl des Kranken. Und ein ängstlicher Patient kann durch den Glauben gelassener werden.In der Liebe geht es weder um Statistik, noch um rationale Argumente. Wie finde ich den richtigen Partner fürs Leben?
Gigerenzer: Auch hier meinen einige Forscher, Heiratswillige müssten erst eine große Anzahl möglicher Partner testen, bevor sie sich für den richtigen entscheiden könnten. Die Idee dahinter ist: Mehr ist immer besser. Das Problem ist nur, dass man in einem kurzen Menschenleben diesen in jeder Hinsicht idealen Partner wohl kaum finden kann. Und selbst wenn man ihn gefunden hätte, würde man es ja nicht mit Sicherheit wissen. Manche Männer folgen stattdessen einer einfachen Regel: Sie versuchen, die Frau zu bekommen, die ihre Freunde haben wollen.Gute Freunde können nicht irren?
Gigerenzer: Freunde können sich irren, aber wenn man gemeinsam irrt, hält die Illusion länger an. Der Partner ist ja auch kein Auto, das gut oder schlecht ist. Eine Beziehung lebt von der Interaktion, das bedeutet, dass die andere Person auch zu dem wird, wie ich mich zu ihr verhalte. Ich sollte mich also auch fragen, was mir die andere Person geben kann, und was ich ihr geben kann.Vor was muss ich wirklich Angst haben?
Gigerenzer: Ich würde mich am meisten davor fürchten, ein Leben zu führen, das ich nicht selbst bestimme. Und dazu muss man Risiken eingehen. Wer keine Risiken eingeht, kann auch nicht gewinnen. Nichts ist so schlimm, wie im Alter zu merken: Das Leben ist vorbei, und ich habe mich nicht getraut.Gerd Gigerenzer: „Risiko – Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“. C. Bertelsmann Verlag München; 400 Seiten; 19,90 Euro.
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„Da waren nicht nur dunkle Seiten“
John Carter Cash, 41, Musikproduzent, über das Vermächtnis seines Vaters
SPIEGEL: Ihr Vater, der Country-Sänger Johnny Cash, hat mehr als 500 Songs geschrieben, seine Karriere dauerte ein halbes Jahrhundert. Er hat zeit seines Lebens Drogen genommen. Wie wächst man auf mit einem abhängigen Vater?
Cash: Mit neun oder zehn habe ich mitbekommen, was los war, mein Vater nahm damals zu viele Schmerzmittel. Er war dann wie ein anderer Mensch, zerstreut, ohne Verständnis. Darunter hat auch meine Mutter gelitten. Es ist nie nur der Abhängige, der krank ist. Die ganze Familie leidet.
SPIEGEL: Trotzdem ging Ihr Vater ständig auf Tour und nahm die Familie mit. War es unterwegs einfacher?
Cash: Das war toll, ich habe viele Menschen getroffen, unglaubliche Orte gesehen. Als Junge wollte ich so werden wie er, die Leute unterhalten, auf der Bühne stehen. Aber das Leben in der Öffentlichkeit hat meinen Vater auch ein bisschen von mir weggezogen.
SPIEGEL: Sie machten später Musik, wie Ihr Vater, nahmen schon als Jugendlicher Drogen, wie Ihr Vater. Mit 21 machten Sie mit ihm einen Entzug.
Cash: Ich habe als Jugendlicher eine große Leere in mir gefühlt. Als wir den Entzug machten, schrieben wir uns viele Briefe, das hat uns sehr zusammengeschweißt.
SPIEGEL: Haben Sie ihm verziehen?
Cash: Es war oft schwierig mit ihm, aber da waren nicht nur dunkle Seiten. Ich habe ihn auch als einen lachenden, verständnisvollen Mann in Erinnerung. Wir waren fischen und wandern, er war sehr religiös und ein leidenschaftlicher Leser. Ich gehe mit meinen Kindern auch in die Kirche, wir beten und lesen viel, auch die Bibel.
SPIEGEL: In Ihrem Buch über Ihren Vater finden sich viele private Briefe und Notizen.
Cash: Als meine Eltern vor acht Jahren gestorben sind, musste ihr Haus verkauft werden. Auf dem Dachboden fanden wir Tonbandaufnahmen, Filmrollen, Medaillen. Und die Liebes-briefe, die mein Vater an meine Mutter geschrieben hat. In denen war unglaublich viel Herz.
John Carter Cash: „Mein Vater Johnny Cash“. Knesebeck Verlag, München; 160 Seiten; 39,95 Euro.
[© DER SPIEGEL, 09/2012]
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„Fast jeder kann foltern“
Der österreichische Jurist Manfred Nowak, 61, über Haftbedingungen
SPIEGEL: Als Uno-Sonderberichterstatter für Folter haben Sie die Haftbedingungen in 18 Ländern untersucht, von Nigeria bis in die USA. In wie vielen Ländern wurde gefoltert?
Nowak: In 17 von 18. In den meisten Staaten gehören für Polizisten Schläge und Tritte zum Alltag, auch das kann Folter sein.
SPIEGEL: Wo ist es am schlimmsten?
Nowak: In Äquatorialguinea habe ich systematische Folter festgestellt. In der Hauptstadt Malabo haben uns Häftlinge erzählt, wie sie mit an Batterien angeschlossenen Kabeln gefoltert wurden. Ich habe diese Apparate gesehen, aber die Sicherheitskräfte haben alles abgestritten.
SPIEGEL: Ein extremer Einzelfall?
Nowak: Leider nein. Meine Kollegen und ich haben Schreckliches gehört, Menschen werden gefesselt, an Stangen aufgehängt, mit Verbrennungen bedroht. Seit dem Mittelalter haben sich die Methoden für körperliche Folter nicht geändert. Sie heißen nur anders.
SPIEGEL: In dem Buch, das Sie über Ihre Reisen geschrieben haben, berichten Sie auch von psychischer Folter.
Nowak: Die Desorientierung aller Sinne ist ein Mittel, man stülpt jemandem eine Kapuze über. In Guantanamo haben die USA Gefangene extremen Temperaturen ausgesetzt. Der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ordnete auch an, Phobien zu nutzen. War jemand klaustrophobisch, wurde er in einen engen Käfig gesperrt.
SPIEGEL: Sie trafen auch Folterer. Was sind das für Menschen?
Nowak: In Extremsituationen kann fast jeder foltern. Oft wird mit Angst gearbeitet, wie in den USA nach dem 11. September. Den Beamten wurde gesagt: Ihr müsst uns vor Terroristen schützen, deshalb sind alle Mittel, auch nicht legale, recht.
SPIEGEL: Nur in Dänemark fanden Sie keine Hinweise auf Folter. Was ist dort besser?
Nowak: Dort gibt es das „Prinzip der Normalität“. Gefängnisse werden so offen wie möglich gestaltet, Häftlinge gelten als Kunden. Ein Folterer würde sofort denunziert werden. Die Konsequenz ist, dass in Dänemark die Rückfallquote der Haftentlassenen besonders niedrig ist.
Manfred Nowak: „Folter. Die Alltäglichkeit des Unfassbaren“. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien; 240 Seiten; 22 Euro.
[© DER SPIEGEL, 08/2012]
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„Ich denke jeden Tag an die Tat“
Die Schweizerin Nicole Dill, 42, über Vertrauen und Vergebung
SPIEGEL: 2007 wurden Sie von Ihrem damaligen Lebensgefährten elf Stunden lang gefoltert, vergewaltigt und beinahe mit einer Armbrust getötet. Inzwischen haben Sie einen neuen Partner und sind Mutter eines Sohnes. Wie haben Sie wieder Vertrauen gefasst?
Dill: Zuerst wollte ich keine Männer an mich heranlassen. Musste ein Arzt einen Verband wechseln, war das schon ein großer Schritt. Ich musste alles neu lernen, sogar das Atmen. Beide Lungen waren ja angeschossen. Durch viele kleine Schritte habe ich wieder ins Leben gefunden. Aber es gibt immer wieder Momente, in denen die Angst hochkommt, Dunkelheit zum Beispiel oder enge Räume, er hatte mich ja in den Kofferraum gesperrt. Oder ein Mann, der dasselbe Parfum benutzt wie er.
SPIEGEL: Was hilft Ihnen?
Dill: Ich fahre mit meinen Inlineskates Marathons. Während dieser 42 Kilometer muss ich mich immer wieder selbst coachen, um nicht aufzugeben. Das hilft mir auch im Alltag. Ich sage mir dann: Du bist im Hier und Jetzt. Roland hat sich kurz nach seiner Inhaftierung umgebracht. Er kann mir nichts mehr tun.
SPIEGEL: Ihr Lebensgefährte war ein verurteilter Mörder und Vergewaltiger, der vorzeitig entlassen worden war, was Sie nicht wussten. War ihm nichts anzumerken?
Dill: Ich hätte nie für möglich gehalten, dass er ein Mörder ist. Roland war sympathisch und charmant, er hat mir häufig Schokoladenherzen geschenkt. Aber dann änderte er sich. Wenn ich Freundinnen traf, wollte er mit. Er sagte: „Wenn du nichts zu verbergen hast, nimmst du mich mit.“ Er folgte mir bis ins Büro. Ich war sein Besitz, konnte keinen Schritt ohne ihn gehen.
SPIEGEL: Worauf achten Sie heute, wenn Sie Menschen kennenlernen?
Dill: Ich beobachte die Person haargenau, wie sie sich äußert, wie sie sich bewegt. Ich bin zuerst sehr distanziert, und ich verlasse mich auf mein Bauchgefühl: Fühle ich mich wohl in der Gesellschaft dieses Menschen oder nicht? In meinen jetzigen Mann habe ich mich erst spät verliebt, zuerst waren wir nur gute Freunde. In unserer ersten gemeinsamen Nacht konnte ich vor Angst nicht schlafen.
SPIEGEL: Können Sie Ihrem Peiniger vergeben?
Dill: Das ist bei einer so schweren Tat nicht möglich. Aber es hilft, wenn man wieder im Alltag verankert ist. Ich habe mich für den Weg nach vorn entschieden. Ich habe mich nie gefragt, warum ich das erlebt habe. Für mich war wichtig, warum ich es überlebt habe. Aber ich denke jeden Tag an die Tat.
Nicole Dill: „Leben! Wie ich ermordet wurde“. Rowohlt Verlag, Reinbek; 208 Seiten; 8,99 Euro.
[© DER SPIEGEL, 05/2012]
Heute unterstützt Nicole Dill Opfer häuslicher Gewalt und bietet mit der Website „Sprungtuch“ eine erste Anlaufstelle für sie in der Schweiz an.
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„Operierte Brüste bringen nichts“
Die Autorin Sara Schätzl, 24, über den Weg zum roten Teppich und gefährliche Implantate
SPIEGEL: Sie träumten von einer Karriere als Glamourgirl, auf Ihrem Weg dorthin haben Sie sich die Brüste vergrößern lassen – mit den gefährlichen PIP-Implantaten. Wie geht es Ihnen?
Schätzl: Als ich davon erfahren habe, dass die Implantate reißen können, habe ich erst mal drei Tage durchgeheult. Die Strapazen, die Schmerzen, und dann erfährst du, dass alles umsonst war und dein Körper in Gefahr ist. Ich ärgere mich über die laxen Kontrollen. Der TÜV kontrolliert ein Auto stärker als die Sachen, die sie in einen Körper einsetzen.
SPIEGEL: Haben Ihnen die großen Brüste bei Ihrer Karriere geholfen?
Schätzl: Operierte Brüste bringen dir gar nichts. Natürlich hilft gutes Aussehen. Aber man kann sich nicht nur darauf verlassen. Ich habe damals die Schule geschmissen und bin auf nach München. Und dann saß ich in meiner Sozialwohnung und habe in meiner Verzweiflung im Branchenbuch geblättert und Filmproduktionen angerufen. Die meisten haben aufgelegt. Schließlich bin ich einfach zu einer hingefahren und habe den Chef abgefangen. So bekam ich meine erste Rolle.
SPIEGEL: Einigen Frauen aus dem Showbusiness gelingt es, nur durch ihren Körper ins Rampenlicht zu kommen. Frauen wie Micaela Schäfer.
Schätzl: Ja, aber die ist im Dschungelcamp, was ist denn das für eine Karriere? Ich habe auch noch nie einen Filmproduzenten kennengelernt, der gesagt hat: Na ja, mit größeren Hupen hätte ich dich schon genommen.
SPIEGEL: In Ihrem Buch beschreiben Sie Ihren Weg zum „Glamourgirl“. Was raten Sie jemandem, der ins Showbusiness will?
Schätzl: Erstens: Sei schlauer als die anderen. Auf die ersten VIP-Partys habe ich mich geschlichen, weil ich die Kellner kannte. Zweitens: Sei fleißig. Wichtig ist Weiterbildung, Schauspielunterricht. Du musst gucken, dass du in diesem Geschäft die beste Version von dir selbst bist.
SPIEGEL: Bereuen Sie Ihre Brust-OP?
Schätzl: Die OP an sich nicht. Das war alles gut überlegt. Aber jetzt bin ich schwanger und kann mir die Implantate nicht herausnehmen lassen. Wir wollen das Kind keiner Vollnarkose aussetzen. Außerdem könnte ich dann nicht stillen. Aber später lasse ich sie rausnehmen.
Sara Schätzl: „Glamourgirl“. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin; 240 Seiten; 14,95 Euro.
[© DER SPIEGEL, 03/2012]