„Fast jeder kann foltern“

Der österreichische Jurist Manfred Nowak, 61, über Haftbedingungen

SPIEGEL: Als Uno-Sonderberichterstatter für Folter haben Sie die Haftbedingungen in 18 Ländern untersucht, von Nigeria bis in die USA. In wie vielen Ländern wurde gefoltert?

Nowak: In 17 von 18. In den meisten Staaten gehören für Polizisten Schläge und Tritte zum Alltag, auch das kann Folter sein.

SPIEGEL: Wo ist es am schlimmsten?

Nowak: In Äquatorialguinea habe ich systematische Folter festgestellt. In der Hauptstadt Malabo haben uns Häftlinge erzählt, wie sie mit an Batterien angeschlossenen Kabeln gefoltert wurden. Ich habe diese Apparate gesehen, aber die Sicherheitskräfte haben alles abgestritten.

SPIEGEL: Ein extremer Einzelfall?

Nowak: Leider nein. Meine Kollegen und ich haben Schreckliches gehört, Menschen werden gefesselt, an Stangen aufgehängt, mit Verbrennungen bedroht. Seit dem Mittelalter haben sich die Methoden für körperliche Folter nicht geändert. Sie heißen nur anders.

SPIEGEL: In dem Buch, das Sie über Ihre Reisen geschrieben haben, berichten Sie auch von psychischer Folter.

Nowak: Die Desorientierung aller Sinne ist ein Mittel, man stülpt jemandem eine Kapuze über. In Guantanamo haben die USA Gefangene extremen Temperaturen ausgesetzt. Der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ordnete auch an, Phobien zu nutzen. War jemand klaustrophobisch, wurde er in einen engen Käfig gesperrt.

SPIEGEL: Sie trafen auch Folterer. Was sind das für Menschen?

Nowak: In Extremsituationen kann fast jeder foltern. Oft wird mit Angst gearbeitet, wie in den USA nach dem 11. September. Den Beamten wurde gesagt: Ihr müsst uns vor Terroristen schützen, deshalb sind alle Mittel, auch nicht legale, recht.

SPIEGEL: Nur in Dänemark fanden Sie keine Hinweise auf Folter. Was ist dort besser?

Nowak: Dort gibt es das „Prinzip der Normalität“. Gefängnisse werden so offen wie möglich gestaltet, Häftlinge gelten als Kunden. Ein Folterer würde sofort denunziert werden. Die Konsequenz ist, dass in Dänemark die Rückfallquote der Haftentlassenen besonders niedrig ist.

Manfred Nowak: „Folter. Die Alltäglichkeit des Unfassbaren“. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien; 240 Seiten; 22 Euro.

DER SPIEGEL, 08/2012]



Über

Kathrin Klette, Jahrgang 1978, Nordlicht. Studium der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Arbeit als freie Journalistin, längere Aufenthalte in London. Volontariat an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin mit Stationen bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, beim rbb Kulturradio, bei „Welt Online“, „Der Spiegel“ und beim ZDF (New York). Seit 2013 Redakteurin bei der „Neuen Zürcher Zeitung“, Autorin des Buches „Hoffen – Eine Anleitung zur Zuversicht“, erschienen im Ch. Links Verlag.

Afrika Arbeit Armut Der Spiegel Die Zeit Entscheidungen ESC FAS FAZ Folter Fotografie Gewalt Glaube Glück Großbritannien Indien Indonesien Japan Jerusalem Kalifornien Kambodscha Kanada Kirgistan Kultur Liebe Madeira McDonald's Medien Migration Musik Nationalsozialismus Natur Netzkultur NZZ Party Portugal Quecksilber Schweiz Sprache Stadt Studium Teheran Tiere Tod Wut