• Von Madeira nach Venezuela und zurück

    Venezuela war einmal ein beliebtes Ziel von Auswanderern, doch heute fehlt es dem Land am Nötigsten, und viele ehemalige Auswanderer kehren wieder zurück. Ganze Familien werden so zerrissen, und auch der Start in der alten Heimat ist mitunter holprig. [Neue Zürcher Zeitung vom 13. Januar 2020, Link]

  • Die schaffen das

    Wie kann Integration gelingen? Vielleicht durch Fußball und Familienanschluss, wie ein Beispiel aus dem Aargau zeigt. Eine Architektin und ihr Sohn haben dort einen jungen Migranten aus Iran bei sich aufgenommen. Sie bezeichnen sich inzwischen als gute Wohngemeinschaft. [Neue Zürcher Zeitung vom 11. Januar 2019, Link]

  • Wenn Migranten nur als Problem gelten

    Macht es einen Unterschied, ob in einem Artikel ein Täter als „Schweizer“ oder „Asyl-Grüsel“ bezeichnet wird? Am Montag haben Medienfachleute in Zürich darüber diskutiert, ob Medien den Rassismus fördern. [Neue Zürcher Zeitung vom 25. Februar 2014, Link]

  • Die Geduldeten

    Blaue Wände, auf dem Boden eine Matratze mit blauem Bettlaken, darauf liegt Sania, 14 Jahre alt und aus Serbien, ausgestreckt auf dem Rücken. Es ist ein Tag im Frühling, Sania hat ihre Augen geschlossen und hält ihre Hand müde vor das Gesicht. Auf der Matratze ein Stuhl, auf dem Sanias Nachbarin Lendita sitzt, 34 Jahre alt und aus dem Kosovo, sie blickt aus dem Fenster, isst ein Stück von einem Brötchen. Es ist egal, dass der Stuhl auf der Matratze steht, egal, dass eine weitere Matratze quer über der blauen liegt, denn Ordnung und Struktur, das gibt es hier nicht, nicht hier, an diesem Ort, der Flüchtlingsunterkunft in Lebach, wo sich die Zeit entlangquält, wo Langeweile und Apathie greifbar sind, wo es aber plötzlich auch sehr schnell gehen kann, dann nämlich, wenn eine Familie abgeschoben wird. Lebach Lebach, eine Stadt mit etwa 20 000 Einwohnern in der Mitte des Saarlands, nördlich von Saarlouis und Saarbrücken. Viel gibt es hier nicht: Wiesen, Wälder, Einfamilienhäuser. Am Stadtrand, zwischen Oderring, Pommern- und Ostpreußenstraße, liegt die Landesaufnahmestelle, die erste Anlaufstelle für Asylsuchende und Flüchtlinge. Im Dezember leben dort 1247 Personen, damit sind die Unterkünfte fast ausgelastet. Auf dem ganzen Gelände gibt es eine Gemeinschafts- und 29 Einzelduschen. Viele Bewohner nennen die Landesaufnahmestelle einfach nur: das „Lager“. Die Berliner Fotografin Stefanie Schulz, deren Fotos wir hier zeigen, hat ihr erstes Lebensjahr ebenfalls in einem Spätaussiedlerheim verbracht. Ihre Mutter war 1987 kurz vor Stefanies Geburt aus Wadowice in Polen nach Baden-Württemberg geflohen, wenig später kam ihr Ehemann nach. Für ihre Abschlussarbeit an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin hat Schulz die Landesaufnahmestelle in Lebach besucht. Zwischen August 2012 und August 2013 fuhr die Fotografin einmal im Monat zu den Flüchtlingen und begleitete sie in ihrem Alltag. Für ihre Arbeit erhielt sie 2013 den ersten Preis des Studierenden-Wettbewerbs des Bundesinnenministeriums.
    Als Jugendliche lebte Schulz zehn Jahre im Saarland, doch von der Asylunterkunft, sagt sie heute, habe sie nichts gewusst. Erst durch ihren Ehemann Rajan erfuhr sie davon, da war sie 20 Jahre alt. Rajan wurde auf Sri Lanka geboren und lebte, als sich beide in Saarbrücken kennenlernten, ohne Aufenthaltsstatus, als sogenannter Illegaler, in Deutschland. Als er seinen Asylantrag bei der Ausländerbehörde in Lebach stellen wollte und Schulz ihn begleitete, sah sie zum ersten Mal die Landesaufnahmestelle, eine Siedlung mit weiß getünchten, zweigeschossigen Häusern, alle nummeriert. Dass mitten unter uns Personen im Bus sitzen oder an der Supermarktkasse stehen, die hier offiziell nicht wohnen dürfen und schon morgen außer Landes gebracht werden können, und dass wir von diesem Leben nichts wissen, das, sagt Schulz, finde sie verstörend. Bei ihren Besuchen in Lebach hat Stefanie Schulz Tausende von Fotos gemacht. Es sind Bilder des Ausharrens und des Hoffens, Momentaufnahmen des Alltags an einem Ort, der für die Bewohner nur ein Zuhause auf Zeit ist. Durch den Bürgerkrieg in Syrien, politische Unruhen in Nordafrika und eine generell unsichere Lage in Krisenstaaten wie Afghanistan, dem Irak und Somalia ist die Migration von Flüchtlingen zu einem drängenden Problem dieser Zeit geworden. 2012 waren laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) 45 Millionen Personen auf der Flucht – das ist der höchste Stand seit 1994. Fast die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder.
    Auch in Deutschland ist die Zahl der Asylgesuche seit 2008 gestiegen. 2013 wurden laut einer Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bis einschließlich November insgesamt 115 576 Asylgesuche eingereicht. 99 989 davon waren Erstanträge, das sind 68 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Das letzte Jahr, in dem mehr als 100 000 Erstanträge gestellt wurden, war 1997. An den bisherigen Rekord von 1992 reicht diese Zahl jedoch längst nicht heran: Damals baten etwa 438 191 Männer und Frauen erstmals in Deutschland um Asyl. Zwischen Januar und November 2013 kamen insgesamt 14 Prozent und damit die meisten Flüchtlinge aus der Russischen Föderation, gefolgt von Personen aus Syrien, Serbien und Afghanistan. Lebach Wer über einen sicheren Drittstaat eingereist ist, gilt in Deutschland als nicht asylberechtigt. Eine klassische Flüchtlingsroute führt von Tunesien oder Libyen über das Mittelmeer nach Italien, das 2013 auch einen großen Zustrom an Flüchtlingen bewältigen musste. Nicht immer gelingt eine sichere Überfahrt: Als Anfang Oktober 2013 vor der italienischen Insel Lampedusa ein Boot mit etwa 545 Flüchtlingen aus Somalia und Eritrea sank und mehr als 300 Personen ertranken, war die Welt erschüttert; Papst Franziskus sprach von einer Schande. Doch selbst Flüchtlinge, die sicher die EU erreichen, leben dort bisweilen unter schwierigen Bedingungen: In Italien müssen viele mangels Unterkünften auf der Straße leben; in Griechenland hausen sie in überfüllten Lagern. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist das dortige Asylsystem mangelhaft und menschenunwürdig. Abgelehnte Asylbewerber dürfen deshalb seit 2011 nicht mehr nach Griechenland abgeschoben werden, selbst wenn es das erste EU-Land ist, über das sie eingereist sind.
    In Deutschland ist asylberechtigt, wer in seiner Heimat vom Staat verfolgt wird – sei es aufgrund seiner Nationalität oder Religion, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie oder sozialen Gruppe oder aufgrund seiner politischen Überzeugung. Zwischen Januar und November 2013 traf das auf gerade einmal ein Prozent aller Asylsuchenden in Deutschland zu. 12,5 Prozent wurde Flüchtlingsschutz gewährt. Wird ein Asylgesuch abgelehnt, wird der Antragsteller abgeschoben. Ist eine Abschiebung nicht möglich, erhält er den Status der Duldung. Eine Duldung, so heißt es im Gesetz, bedeutet, dass die Abschiebung „vorübergehend ausgesetzt“ wurde. Ein abgelehnter Asylsuchender erhält diesen Status, wenn er nicht ausreisen kann, weil er zum Beispiel krank ist, wenn Ausweise fehlen oder seine Heimat für ihn zu gefährlich ist. Bisweilen ist auch die Infrastruktur im jeweiligen Heimatland zerstört, sodass eine Ausreise nicht möglich ist. Vor allem den Geduldeten hat sich Stefanie Schulz in ihrer Arbeit in Lebach gewidmet. Eine Duldung kann immer wieder verlängert werden, jeweils für maximal drei Monate. Geduldete können jederzeit abgeschoben werden; jederzeit, das heißt auch: jede Nacht. Manche Kinder sind seit Jahren in Lebach, auch ihre Geschwister wurden dort geboren. Apel, ein 14 Jahre alter Jugendlicher mit Kapuzenpulli und Bartflaum, lebt mit seinen Eltern und drei jüngeren Schwestern schon seit zwölf Jahren in Lebach, Haus Nummer 3, im Erdgeschoss, rechts. Er selbst sei im Irak geboren worden, sagt er, seine Eltern seien armenische Christen. Es ist ein Leben in permanenter Anspannung, in dem selbstbestimmte Entscheidungen nicht möglich sind.
    Hilfsbereitschaft wird gemäß der Bibel belohnt. Auf die Gerechten, sagt Jesus laut dem Matthäusevangelium, wartet das Reich, also der Himmel, „denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben“. Lebach Vor allem in Debatten um die Folgen der Einwanderung berufen sich viele auf die christlichen Traditionen Europas, etwa wenn es um das Tragen von Kopftüchern und um den Bau von Moscheen geht; ein christlicher Umgang mit Flüchtlingen dagegen fällt schwer. Mit neuen Maßnahmen rüstet sich die EU gegen die steigenden Flüchtlingszahlen: So ist die Türkei künftig dazu verpflichtet, Flüchtlinge, die über ihr Territorium nach Europa reisen, zurückzunehmen. Das betrifft einen Großteil der Flüchtlinge, die aus dem Nahen Osten kommen. Weitere solcher „Mobilitätspartnerschaften“ mit Anrainerstaaten sind geplant. Am 2. Dezember nahmen außerdem 18 EU-Staaten und Norwegen das Grenzüberwachungssystem Eurosur in Betrieb, das mit Drohnen und Satelliten die illegale Einwanderung nach Europa kontrollieren soll. Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sagte, die Ortung ermögliche es, Flüchtlinge in überfüllten Booten zu retten. Kritiker, wie Politiker der Grünen und Linken, sagen, eigentlich gehe es um deren Abwehr. Auch im eigenen Land hält man zu den Flüchtlingen lieber Abstand. Asylbewerberheime, schön und gut, aber bitte nicht in meiner Nachbarschaft. Auf eine extreme und besonders beschämende Weise zeigte sich dies in Hellersdorf im Osten von Berlin, wo im Sommer 2013 Neonazis und aufgebrachte Nachbarn gegen ein neues Asylbewerberheim protestierten, in das Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan ziehen sollten. Anwohner fürchteten sich vor Kriminalität, hatten Angst um ihre Kinder und ihren Wohlstand. Rechtsextreme zeigten den Hitlergruß, fremdenfeindliche Parolen wurden gerufen. Proteste gegen Asylunterkünfte gab es auch in Isny im Allgäu, im schwäbischen Sachsenheim sowie in Schneeberg im Erzgebirge.

    Stefanie Schulz ist den Bewohnern in der Landesaufnahmestelle Lebach sehr nahe gekommen, vor allem über eine Sozialarbeiterin des Deutschen Roten Kreuzes. Aber auch über die Kinder und Jugendlichen, die teilweise sehr gut Deutsch sprechen und übersetzen konnten, fand sie Zugang zu den Bewohnern. Für die Jugendlichen war Schulz, selbst zehn Jahre älter, eine Art Bindeglied. Weil viele schon seit Jahren in Deutschland leben, sind sie westlich sozialisiert, sind auf Facebook, chatten, rauchen heimlich, hören deutschen Hip-Hop, sind verliebt. Lebach Manchen Kindern half Schulz bei den Hausaufgaben, sie trank Unmengen an süßem Chai-Tee, tanzte mit den Frauen zu Musik aus Afghanistan oder vom Balkan, abends, ohne die Männer, wenn die Frauen die Gardinen geschlossen und sich Stöckelschuhe angezogen und geschminkt hatten. Schulz aß mit ihnen, übernachtete bei ihnen. Erst nach etwa einem Jahr konnten so intime Porträts entstehen, wie zum Beispiel das des zwölf Jahre alten Jungen aus dem Kosovo, der mit aufgeblasenen Wangen auf einem Berg von Matratzen liegt; im Fernseher läuft Spongebob.
    Die Grundbedürfnisse der Geduldeten, also Essen, Kleidung und Schuhe, werden über Sachleistungen abgedeckt. In Lebach erhalten sie dienstags und freitags Lebensmittelpakete mit Wasser, Nudeln, Marmelade, Müsli, Tiefkühlhähnchen, Pudding und Fruchtjoghurt. Zusätzlich bekommen Erwachsene pro Monat 137 Euro in bar ausgezahlt, Kinder und Jugendliche höchstens 88 Euro. Zwar sind Ausnahmen möglich, doch grundsätzlich dürfen Geduldete nicht arbeiten; die Flüchtlinge in Lebach aber haben Ein-Euro-Jobs, sie putzen das Treppenhaus, jäten Unkraut. Wer sich weigert, wird sanktioniert.
    Luxus – für die Bewohner ist das ein Parfüm, aber auch russische und polnische Bonbons, Süßigkeiten von Haribo oder Gewürze vom Türken. Und ja, einige der Jugendlichen haben auch ein Handy. Schulz sagt, die Eltern sparten das Geld dafür zusammen. Wenn sie ihren Kindern sonst schon kein geregeltes Leben ermöglichen, keine Perspektive bieten könnten, dann seien Smartphones die einzigen Dinge, die einen gewissen Status vermitteln könnten. Rau sei das Leben in Lebach, erzählt der 14 Jahre alte Apel. Schnell komme es zu Streit; schon wenn Christen in der Gemeinschaftsküche Schweinefleisch brieten, könne das manche Muslime verärgern. Bisweilen komme es zu Schlägereien, wegen Frauen, Zigaretten oder Haschisch. Seine Eltern ließen seine Schwestern ungern allein vor die Tür, sagt Apel, weil an den Häuserecken Männer herumlungerten und blöde Sprüche rissen. Er selbst gehe nach 20 Uhr nur noch mit seinen Eltern nach draußen. Die Sozialarbeiterin Sonia Kraft hat drei Jahre vor Ort gearbeitet. Sie sagt: „Nach 16 Uhr herrschen hier eigene Gesetze.“
    Das Zusammentreffen unterschiedlicher Ethnien und Religionen sei schon schwierig genug, sagt sie, die Unsicherheit und Perspektivlosigkeit heizten die Situation weiter auf. Für manche Flüchtlinge sei es oft nicht einfach zu verstehen, warum einige eine Aufenthaltsgenehmigung erhielten, sie selbst aber nicht. Und klar: Manche machten bewusst falsche Angaben, um sich selbst zu schützen oder andere, und einige wollten die ganzen Regeln und Gesetze auch nicht verstehen. Kürzlich, erzählt Kraft, habe sich ein Türke, dessen Asylantrag wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der Terrororganisation PKK abgelehnt worden sei, mit einem Bügeleisen an den Kopf geschlagen und eine Fensterscheibe zertrümmert. Lebach
    Erschwerend kommen traumatische Erlebnisse auf der Flucht hinzu: Mit Kobra und ihrem Ehemann Asam Saidi lernte Schulz ein Paar kennen, das mit sechs Töchtern aus Afghanistan über die Türkei und Italien nach Deutschland floh. Die Narben der 13 Jahre alten Lina zeugen noch heute von den Verletzungen, die sie auf der Flucht in Afghanistan durch Granatsplitter erlitt. Eine andere Tochter ging bei Gefechten verloren; inzwischen ist sie wieder aufgetaucht und lebt in Afghanistan bei den Großeltern. Sie ist 14 Jahre alt. Eine Familienzusammenführung, hat Schulz bei ihrer Arbeit erfahren, ist im derzeitigen Verfahren nicht möglich. Geduldete Kinder und Jugendliche unterliegen der Schulpflicht. Während Gänge zu Behörden, Ärzten und Anwälten den Alltag der Eltern strukturieren, ist für die Kinder und Jugendlichen die Schule mitunter der einzige Ort, an dem sie so etwas wie Normalität erleben können. Apel besucht die achte Klasse einer Realschule. Seine Lieblingsfächer, sagt er, seien Deutsch, Sport, Englisch und Musik. Später würde er gerne eine Ausbildung zum Fliesenleger machen. Selten träfen er und seine Freunde aus Lebach andere deutsche Kinder oder lüden sie gar zu sich nach Hause ein – zu groß ist die Scham. „Ihr seid doch nur die aus dem Lager“, hätten die gesagt. Kino oder Clubbesuche, Unternehmungen in Saarlouis oder Saarbrücken sind für die meisten Jugendlichen zu teuer. Stattdessen bleiben sie unter sich. Sie hören Musik, ziehen durch die Wohnblocks, spielen Fußball oder Karten. Trotz aller Nachteile bietet die Gemeinschaft in Lebach auch Schutz: Jeder kennt jeden, und irgendjemand kocht immer gerade etwas zu essen oder lädt zu einem Tee ein.
    Viele der Jugendlichen hätten auf sie älter und ernster als für ihr Alter üblich gewirkt, sagt Schulz. Sie nennen sich selbst „Ausländer“, sind sie doch eigentlich nirgendwo zu Hause, weder in Deutschland, das sie eigentlich verlassen sollen, noch dort, in diesem fernen Land, das für ihre Eltern Heimat ist, das sie selbst aber nur aus dem Fernsehen oder aus Erzählungen kennen. [Christ & Welt, eine Beilage der Wochenzeitung Die Zeit, vom 19. Dezember 2013; alle Bilder © Stefanie Schulz]
  • Duldung

    Lebach, eine Stadt mit etwa 20 000 Einwohnern im Saarland, 16 Kilometer von Saarlouis entfernt. Am Rande von Lebach liegt die Landesaufnahmestelle, die erste Anlaufstelle für Asylsuchende und Flüchtlinge. Hier leben fast 1370 Personen, Ende September 2013 war die Unterkunft fast ausgelastet. Die meisten Bewohner kommen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak. Die Unterkunft nennen sie einfach nur: das „Lager“. Viele Bewohner der Landesaufnahmestelle sind nur geduldet. Eine Duldung, so heisst es im Gesetz, bedeutet, dass die Abschiebung „vorübergehend ausgesetzt“ wurde. Ein abgelehnter Asylsuchender erhält diesen Status, wenn er nicht ausreisen kann, weil er zum Beispiel krank ist, weil Ausweise fehlen oder seine Heimat für ihn zu gefährlich ist. Bisweilen ist auch die Infrastruktur im jeweiligen Heimatland zerstört, so dass eine Ausreise nicht möglich ist. Eine Duldung kann immer wieder verlängert werden, jeweils für maximal drei Monate. Geduldete können jederzeit abgeschoben werden, jederzeit, das heisst auch: jede Nacht. Es ist ein Leben in permanenter Anspannung und Unsicherheit, in dem selbstbestimmte Entscheidungen über die eigene Existenz und die der Familie nicht möglich sind. Einige der Jugendlichen haben ihre gesamte Kindheit in Lebach verbracht; auch ihre Geschwister wurden dort geboren. Manche leben dort seit mehr als 14 Jahren. Für ihre Abschlussarbeit an der Ostkreuz-Fotoschule hat Stefanie Schulz, die selbst in einem Spätaussiedlerheim in Baden-Württemberg geboren wurde, die Landesaufnahmestelle Lebach besucht. Zwischen August 2012 und August 2013 fuhr sie etwa einmal im Monat ins Saarland und lernte die Flüchtlinge und ihr Leben kennen. Bisweilen war der Kontakt sehr eng: Die Fotografin aß mit den Bewohnern, schlief bei ihnen, teilte deren Alltag. Entstanden sind so atmosphärische Portraits und Momentaufnahmen des Lebens in Lebach, das für die Bewohner nur ein Zuhause auf Zeit ist. Die Fotografin konzentrierte sich vor allem auf die Heranwachsenden und begleitete sie bei ihrer Suche nach einer Identität. Einerseits sprechen viele Jugendliche zwar bisweilen gut Deutsch, besuchen eine Realschule oder machen eine Ausbildung. Andererseits laden sie selten ihre wenigen deutschen Freunde ein – zu groß ist die Scham. Kino oder Clubbesuche, Unternehmungen in der Stadt, sind für die meisten zu teuer. Stattdessen bleiben sie unter sich. Sie hören Musik, ziehen durch die Wohnblocks, spielen Fußball oder Karten. Das Flüchtlingsheim ist eine geschlossene Welt; gemeinsam erlebtes Leid schweißt zusammen. Viele Heranwachsende wirken älter und ernster als für ihr Alter üblich. Sie selbst nennen sich „Ausländer“, sind sie doch eigentlich nirgendwo zu Hause, weder hier, wo sie nur geduldet sind, noch dort, in diesem fernen Land, das für ihre Eltern Heimat ist, sie selbst aber nur aus dem Fernsehen kennen.

    in: Stefanie Schulz (Hg.): Duldung. Abschlussarbeit an
    der Ostkreuzschule für Fotografie 2013. Ausstellung bis zum 
    08. November 2013 in den Berliner Uferhallen
  • Bulgarische Hoffnung auf 20 Quadratmetern

    Um der Armut in ihrer Heimat zu entkommen, machen sich viele Bulgaren und Rumänen gen Westen auf. Doch auch das neue Leben in Deutschland beginnt mit Hindernissen. [Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. März 2013, Link]

  • „Die sind völlig ohne Boden“

    Die Armut vertreibt viele Rumänen und Bulgaren aus ihrer Heimat, und einige landen auch in Hessen. Für Frankfurts soziale Einrichtungen wird diese neue Armutsmigration zum Problem. [Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Februar 2013, Link]

  • Letzte Hoffnung Rödelheim

    In Griechenland ist fast jeder vierte Jugendliche ohne Arbeit. Einige von ihnen versuchen ihr Glück in Frankfurt, doch ohne Sprachkenntnisse ist es für sie auch hier schwer. [Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. Oktober 2012, Link]