Duldung

Lebach, eine Stadt mit etwa 20 000 Einwohnern im Saarland, 16 Kilometer von Saarlouis entfernt. Am Rande von Lebach liegt die Landesaufnahmestelle, die erste Anlaufstelle für Asylsuchende und Flüchtlinge. Hier leben fast 1370 Personen, Ende September 2013 war die Unterkunft fast ausgelastet. Die meisten Bewohner kommen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak. Die Unterkunft nennen sie einfach nur: das „Lager“. Viele Bewohner der Landesaufnahmestelle sind nur geduldet. Eine Duldung, so heisst es im Gesetz, bedeutet, dass die Abschiebung „vorübergehend ausgesetzt“ wurde. Ein abgelehnter Asylsuchender erhält diesen Status, wenn er nicht ausreisen kann, weil er zum Beispiel krank ist, weil Ausweise fehlen oder seine Heimat für ihn zu gefährlich ist. Bisweilen ist auch die Infrastruktur im jeweiligen Heimatland zerstört, so dass eine Ausreise nicht möglich ist. Eine Duldung kann immer wieder verlängert werden, jeweils für maximal drei Monate. Geduldete können jederzeit abgeschoben werden, jederzeit, das heisst auch: jede Nacht. Es ist ein Leben in permanenter Anspannung und Unsicherheit, in dem selbstbestimmte Entscheidungen über die eigene Existenz und die der Familie nicht möglich sind. Einige der Jugendlichen haben ihre gesamte Kindheit in Lebach verbracht; auch ihre Geschwister wurden dort geboren. Manche leben dort seit mehr als 14 Jahren. Für ihre Abschlussarbeit an der Ostkreuz-Fotoschule hat Stefanie Schulz, die selbst in einem Spätaussiedlerheim in Baden-Württemberg geboren wurde, die Landesaufnahmestelle Lebach besucht. Zwischen August 2012 und August 2013 fuhr sie etwa einmal im Monat ins Saarland und lernte die Flüchtlinge und ihr Leben kennen. Bisweilen war der Kontakt sehr eng: Die Fotografin aß mit den Bewohnern, schlief bei ihnen, teilte deren Alltag. Entstanden sind so atmosphärische Portraits und Momentaufnahmen des Lebens in Lebach, das für die Bewohner nur ein Zuhause auf Zeit ist. Die Fotografin konzentrierte sich vor allem auf die Heranwachsenden und begleitete sie bei ihrer Suche nach einer Identität. Einerseits sprechen viele Jugendliche zwar bisweilen gut Deutsch, besuchen eine Realschule oder machen eine Ausbildung. Andererseits laden sie selten ihre wenigen deutschen Freunde ein – zu groß ist die Scham. Kino oder Clubbesuche, Unternehmungen in der Stadt, sind für die meisten zu teuer. Stattdessen bleiben sie unter sich. Sie hören Musik, ziehen durch die Wohnblocks, spielen Fußball oder Karten. Das Flüchtlingsheim ist eine geschlossene Welt; gemeinsam erlebtes Leid schweißt zusammen. Viele Heranwachsende wirken älter und ernster als für ihr Alter üblich. Sie selbst nennen sich „Ausländer“, sind sie doch eigentlich nirgendwo zu Hause, weder hier, wo sie nur geduldet sind, noch dort, in diesem fernen Land, das für ihre Eltern Heimat ist, sie selbst aber nur aus dem Fernsehen kennen.

in: Stefanie Schulz (Hg.): Duldung. Abschlussarbeit an
der Ostkreuzschule für Fotografie 2013. Ausstellung bis zum 
08. November 2013 in den Berliner Uferhallen