„Comics sind sehr effizient“

Der kanadische Künstler Guy Delisle, 45, über gezeichnete Konflikte

SPIEGEL: Sie sind im August 2008 mit Ihrer Familie nach Jerusalem gezogen und haben über Ihre Erlebnisse einen Comic verfasst. Eignet sich ein Leben in Israel für lustige Zeichnungen?

Delisle: Mir ging es nicht darum, politische Konflikte zu beschreiben oder Schlüsse zu ziehen. Ich habe einfach meinen Alltag beobachtet und mich mit den Leuten unterhalten, die mir begegnet sind. Ich zeige dem Leser mein Leben, mehr nicht.

SPIEGEL: Ihre Frau arbeitete bei „Ärzte ohne Grenzen“ im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Die Familie lebte im Osten Jerusalems, dem arabischen Teil. Wie sah Ihr Alltag aus?

Delisle: Ost-Jerusalem ist sehr heruntergekommen und schmutzig. Einige Straßen sind nicht asphaltiert. Es gibt ein paar Cafés, aber die meisten sind leer. Es sieht dort eher wie in einem Dritte-Welt-Land aus. Meine Frau musste immer einen Checkpoint passieren, um zur Arbeit zu kommen.

SPIEGEL: In Ihrem Comic „Chroniques de Jérusalem“ sind auch die Sperranlagen zu sehen, die Israel vom Westjordanland trennen.

Delisle: Diesen Schutzzaun hat man im Osten Jerusalems jederzeit vor Augen. Ich bin viel mit dem Auto herumgefahren. Die Mauer schlängelt sich um ganze Dörfer, sogar um Häuser. Ich habe viele Skizzen von der Mauer gemacht. Das war auch grafisch faszinierend.

SPIEGEL: Ende 2008 startete Israel eine Luftoffensive auf den Gaza-Streifen. Wie haben Sie die Angriffe erlebt?

Delisle: Wir waren ganz in der Nähe, der Gaza-Streifen war nur eineinhalb Autostunden entfernt, trotzdem haben wir das gemacht, was alle anderen auch taten: Wir haben al-Dschasira geguckt. Für die Menschen in Gaza war die Situation beklemmend: Niemand durfte das Gebiet verlassen.

SPIEGEL: Der Nahost-Konflikt ist ja schwere Kost. Trotzdem ist Ihr Buch in Frankreich ein Erfolg. Sind Comics die besseren Lehrbücher?

Delisle: Comics sind sehr effizient, wenn man Dinge erklären will. Man hat die Zeichnung, den Text oder auch eine Grafik. Ich kann auf einer halben Seite erklären, was der Tempelberg ist. Außerdem habe ich die Möglichkeit, humorvoll zu schreiben. Und Spaß dabei haben, wenn man etwas über Jerusalem liest, das geht ja mit einer Zeitung eher selten.

Guy Delisle: „Chroniques de Jérusalem“. Éditions Delcourt, Paris; 336 Seiten; 25,50 Euro. Ab März auch auf Deutsch erhältlich.

DER SPIEGEL, 03/2012]